Warum eine Wirtschaftspolitik aus der Vergangenheit nicht mehr funktionieren kann.
In Deutschland haben sich die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen in den letzten zehn Jahren deutlich gewandelt, was neue Ansätze in der Wirtschaftspolitik erforderlich macht. Hier sind einige konkrete Beispiele, die die Notwendigkeit einer angepassten Wirtschaftspolitik verdeutlichen:
1. Energiewende und Klimapolitik
- Vergangenheit: Deutschland verfolgte die Energiewende bereits vor zehn Jahren, aber der Fokus lag hauptsächlich auf dem Ausbau erneuerbarer Energien und dem Atom- sowie Kohleausstieg, mit noch wenig direkten Eingriffen in die Industrie.
- Heute: Die Umsetzung der Energiewende erfordert tiefgreifende Maßnahmen zur Emissionsreduzierung, insbesondere in der Industrie und im Verkehr. Hohe CO₂-Preise und die Notwendigkeit zur Energieeffizienz fordern von der Wirtschaftspolitik Maßnahmen wie CO₂-Bepreisung, Subventionen für grüne Technologien und die Unterstützung energieintensiver Industrien, die unter hohen Energiepreisen leiden. Aktuell ist eine beschleunigte Umstellung auf klimaneutrale Produktionsmethoden gefordert.
2. Versorgungssicherheit und Abhängigkeiten in globalen Lieferketten
- Vergangenheit: Deutschland setzte auf globalisierte Lieferketten, insbesondere bei wichtigen Rohstoffen und Elektronikkomponenten, die stark aus Asien importiert wurden. Die Abhängigkeit von wenigen Lieferanten und Ländern wurde als geringes Risiko angesehen.
- Heute: Die Abhängigkeit von Energieimporten (z.B. aus Russland) und die Fragilität der globalen Lieferketten (wie in der Corona-Pandemie sichtbar) haben gezeigt, dass Deutschland anfällig für externe Schocks ist. Die Wirtschaftspolitik ist daher heute darauf ausgerichtet, strategische Reserven zu schaffen, kritische Industrien im Land zu fördern und Lieferketten zu diversifizieren, um die Versorgungssicherheit zu stärken.
3. Fachkräftemangel und demografischer Wandel
- Vergangenheit: Der Fachkräftemangel zeichnete sich ab, war aber weniger dringlich als heute. Maßnahmen beschränkten sich häufig auf Ausbildungsförderungen und punktuelle Programme zur Förderung von Frauen oder Migrant*innen im Arbeitsmarkt.
- Heute: Der demografische Wandel und der akute Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in Schlüsselbereichen (wie Pflege, IT und Ingenieurwesen) haben zu einer ernsthaften Herausforderung für die Wirtschaft geführt. Die Politik fördert heute verstärkt die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und flexiblere Arbeitsmodelle, um den Arbeitsmarkt langfristig zu stabilisieren.
4. Digitalisierung und technologischer Fortschritt
- Vergangenheit: Die Digitalisierung spielte eine Rolle, wurde aber eher als zusätzliches Element zur Steigerung der Effizienz betrachtet. Der Breitbandausbau begann, aber oft ohne größere politische Priorität.
- Heute: Die digitale Infrastruktur ist unverzichtbar für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Die Digitalisierung der Verwaltung, Förderung von digitalem Arbeiten und Investitionen in die IT-Sicherheit sind heute wesentliche Bausteine der Wirtschaftspolitik. Um mit technologischen Fortschritten Schritt zu halten und Unternehmen zu fördern, müssen diese digital konkurrenzfähig bleiben.
5. Inflation und steigende Lebenshaltungskosten
- Vergangenheit: Die Inflation lag konstant niedrig und die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank war expansiv, was Investitionen und Konsum begünstigte.
- Heute: Die Inflation ist durch steigende Energiekosten und Rohstoffpreise sowie Lieferengpässe deutlich angestiegen. Dies führt zu einer Belastung der Haushalte und erschwert Investitionen. Die Wirtschaftspolitik in Deutschland setzt verstärkt auf Unterstützungspakete, um Haushalte und Unternehmen zu entlasten, wie etwa durch Energiepreisbremsen und Einmalzahlungen für sozial schwächere Gruppen.
6. Stärkung der Industriepolitik für mehr Wettbewerbsfähigkeit
- Vergangenheit: Deutschland setzte auf eine liberale Wirtschaftspolitik, die den Markt größtenteils frei agieren ließ und wenig in bestimmte Schlüsselindustrien eingriff.
- Heute: Angesichts wachsender internationaler Konkurrenz und geostrategischer Spannungen (insbesondere durch China und die USA) wird die Industriepolitik stärker fokussiert. Deutschland fördert gezielt Schlüsselindustrien wie die Batteriezellproduktion, Wasserstofftechnologien und die Halbleiterindustrie, um unabhängiger und wettbewerbsfähiger zu werden. Subventionen, staatliche Beteiligungen und Forschungsförderungen spielen eine große Rolle.
7. Soziale Ungleichheit und Sicherung des sozialen Zusammenhalts
- Vergangenheit: Die Einkommensungleichheit war weniger spürbar, und das deutsche Sozialmodell galt als stabil. Der Sozialstaat wurde jedoch oft als ausreichend empfunden, und die Steigerung der sozialen Mobilität hatte keine Priorität.
- Heute: Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich weiter geöffnet, was zu sozialem Unmut führt. Die Wirtschaftspolitik fokussiert sich nun stärker auf die Umverteilung durch höhere Mindestlöhne, Reformen bei der Einkommenssteuer und verstärkte soziale Sicherung, um den sozialen Frieden zu wahren und den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu sichern.
8. Erschwerte Rahmenbedingungen für den Mittelstand
- Vergangenheit: Der Mittelstand war das Rückgrat der deutschen Wirtschaft und profitierte von stabilen Rahmenbedingungen.
- Heute: Mittelständische Unternehmen stehen durch Bürokratie, hohe Energiepreise und Fachkräftemangel unter Druck. Die Wirtschaftspolitik muss hier durch Entbürokratisierung, steuerliche Entlastungen und gezielte Förderung von Innovationen helfen, um die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft des Mittelstands zu erhalten.
Fazit
Die heutige Wirtschaftspolitik in Deutschland ist gefordert, den Wandel auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig zu gestalten: Von der Klimaneutralität über die Digitalisierung bis hin zu sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Resilienz. Die veränderten Umstände fordern eine proaktive, anpassungsfähige Politik, die langfristige Ziele mit kurzfristigen Hilfsmaßnahmen kombiniert, um die Wirtschaft und Gesellschaft auf die neuen Herausforderungen auszurichten.